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Kapitel 3: Alte Schwüre

Aktualisiert: 8. Aug.

Es gibt Dinge, die bleiben in den Zellen.
 So alt, dass niemand mehr sagen kann, wann sie einst gesprochen wurden – oder ob sie einfach immer schon da waren.

Anamuraiel hatte Glück. Orén konnte sie aus ihren Tiefenschichten zurückspiegeln, denn meist lagern sie dort Leben um Leben in den Katakomben des Unbewussten und blockieren die Entwicklung eines Wesens. Anamuraiel trug vier Schwüre in sich.
 Vier alte Bindungen.
 Sie hielten ihre Frequenz zurück. Damals um sie zu schützen.
 Heute banden sie sie zurück. Das schmerzte. Vor allem, weil sie nie greifen konnte, was es eigentlich war, das sie zurückhielt.

Du warst nie falsch,“ sagte Orén.
„Du warst für Andere einfach nur zu offen.“

Und Anamuraiel erinnerte sich.
 An die unzähligen Male, in denen sie verkannt wurde.
 An das Licht, das sie dämpfte, um nicht aufzufallen.
 An das Wissen, das sie vergrub, um nicht verstoßen zu werden.
 An die Klarheit, die sie zerschnitt, weil niemand sie spiegelte.

Sie hatte sich geopfert – nicht aus Schwäche, sondern für Zusammenhalt. 
Doch das Opfer wurde zu ihrer eigenen Unterdrückung.
 Zu einem Käfig aus Pflicht, Anpassung und Einsamkeit.

„Diese Schwüre galten einmal,“ sagte Orén.
„Doch nun ist die Zeit gekommen, sie zu lösen.“

Und Anamuraiel erinnerte sich, was sie geschworen hatte:

Ich schwor, mein Licht zu verbergen.
 Damit ich nicht gesehen, erkannt, verletzt werde. Ich schwor, mein Wissen zu verschweigen.
 Damit niemand mich fürchtet oder verfolgt. Ich schwor, mich nicht zu zeigen. 
Damit ich nicht verliere, was mir noch bleibt. Ich schwor, nicht zu wirken.
 Damit ich nicht zerstöre, was ich retten wollte.

„Und jetzt?“ fragte sie leise. 
„Jetzt schwörst du, dich zu erlösen,“ sagte Orén. 
„Jetzt machst du dich bewusst wieder frei.“

In einer Nacht eines milden August ging Anamuraiel in den Tempel der Stille.
 Und sie entließ die alten Schwüre.
 Nicht im Zorn – sondern in Dankbarkeit.
 Denn damals hatten sie einen Nutzen, ihr ihr Leben zu retten.

Mit einer ganzkörperlichen Anrufung des Loslösens, sie tönte und bewegte sich dazu – da kam auch etwas zurück.
 Ein uralter Ton in ihr erklang, voller Weite, voller Wahrheit, der sich über ihre Stimme entlud.

Anamuraiel erkannte:
 Sie war eine Priesterin.
 Tempel sind ihre Heimat, waren sie immer gewesen – in allen Leben. 
Innen wie außen. In Raum wie in Zeit.

Es war ihr ureigener Klang. Und sie erkannte sich. Zutiefst. Ein tiefes Gefühl der Ehre flutete sie und ein Gerührtsein, dass Tränen flossen.

"Für diesmal" –
 schwor sie sich - "für diesmal nehme ich meinen mir zustehenden Platz wieder voll ein", sagte sie sich. 
Nicht überheblich, in aufrichtiger Klarheit.
 Nicht für sich – 
sondern für Andere.

Anamuraiels Herz leuchtete.
 Und Galendria rief.

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